KATHARINA,VON ARAGON (1485 - 1536)
Maike Vogt-Lüerssen
Katharina von Aragón (1485-1536): Mein Wille ist nicht zu brechen!
Katharina
von Aragón wurde am 15.12.1485 in Alcala de Henarés in Kastilien als
jüngstes Kind von Isabella von Kastilien und León (+ 1504) und
Ferdinand II. von Aragón und Neapel-Sizilien (+ 1516) geboren. Man
nannte sie nach ihrer Urgroßmutter mütterlicherseits, Katharina von
Lancaster (+ 1418), einer Enkelin des englischen Königs Eduard III. (+
1377). Wie ihre älteren Geschwister Isabella, geboren 1470, Juan,
geboren 1478, Johanna, geboren 1479, und Maria, geboren 1482, wurde sie
streng religiös und asketisch erzogen. So war Katharina schon als Kind
daran gewöhnt worden, das Büßerhemd der Trinitarier (Anhänger von
Bettelorden) unter ihren königlichen Gewändern zu tragen und viele
Stunden des Tages und der Nacht im Gebet zu verbringen, für das sie sich
- wie es eigentlich nur bei den Mönchen und Nonnen üblich war - auch um
Mitternacht und in der vierten Morgenstunde von ihrem Lager erhob.
Die
Mutter war für Katharina und für ihre Geschwister - mit Ausnahme von
Johanna - das Vorbild und der Leitstern. Isabella sorgte zudem auch für
eine gründliche geistige Erziehung ihrer Kinder. So berief sie zu
Katharinas Unterrichtung zwei der hervorragendsten Humanisten ihrer
Zeit: Antonio und Alessandro Geraldini. Und Katharina erwies sich als
eine intelligente Schülerin. Erasmus von Rotterdam (+ 1536) und Sir
Thomas More (+ 1535), die sie später am englischen Hofe kennenlernen
sollten, schätzten sie als "ein Wunder an weiblicher Gelehrsamkeit", da
sie auf die Reden der Botschafter aus dem Stegreif auf Latein Antworten
geben konnte.
Katharina, die Isabellas Lieblingstochter war, war
von kleiner, kräftiger Statur und keine große Schönheit, hatte eine hohe
Stirn, etwas hervorquellende Augen von grauer Farbe, ein vorspringendes
Kinn, rotblondes Haar, zierliche Hände und Füße und glich ihrer Mutter
im Charakter von all ihren Geschwistern am meisten. Sie besaß wie diese
ein ausgeprägtes Selbstvertrauen, ein herrisches Temperament, ein
starkes Durchsetzungsvermögen und neigte zu ungestümen
Leidenschaftsausbrüchen wie heftigen Wutanfällen.
Bereits im
Jahre 1488 wurde über Katharinas Zukunft zwischen ihren Eltern und dem
englischen König Heinrich VII. verhandelt. In der adligen Hauspolitik
spielte die Wahl der "richtigen Braut" eine große Rolle. Durch sie
sollten verwandtschaftliche Beziehungen zu anderen angesehenen
Adelsgeschlechtern geknüpft, der eigene Herrschaftsbereich eventuell
abgesichert oder erweitert, politische Bündnisse gefestigt,
Feindseligkeiten behoben oder die Position des eigenen Geschlechtes
gesichert werden. Heinrich VII., erst seit 1485 König von England,
wollte durch diese geplante Ehe zwischen seinem ältesten Sohn Arthur
(geb. im September 1486) und der kleinen Infantin seine neue Herrschaft
in England festigen. Denn sein Thronanspruch war alles andere als über
jeden Zweifel erhaben.
Ferdinand II. von Aragón wollte natürlich
durch diesen Ehevertrag ebenfalls Vorteile erzielen und verlangte als
Gegenleistung für die Infantin, die er ja schließlich in eine noch immer
durch andere Prätendenten gefährdete Dynastie einheiraten lassen
wollte, die Zusicherung aktiver englischer Unterstützung bei einem Krieg
gegen Frankreich. Denn Ferdinand hatte ein Auge auf zwei französische
Provinzen in den Pyrenäen geworfen. Im März 1489 fand sich Heinrich im
Vertrag von Medina del Campo dazu bereit. Und obwohl der englische König
von 1489-1492 seine Vertragsbedingungen erfüllt und sogar persönlich
über den Kanal gesetzt und mit seiner Armee Boulogne belagert hatte, war
der Ehevertrag damit noch nicht besiegelt. Da sowohl Ferdinand als auch
Heinrich VII. als Meister im Feilschen und Schachern bekannt waren,
zogen sich die Verhandlungen über die Aussteuer und Mitgift der Braut
sowie über die von England zu gewährenden Handelskonzessionen noch
mehrere Jahre hin.
Im Oktober 1496 gelangten Katharinas Vater und
Heinrich VII. schließlich zu einer Einigung. Katharina sollte sich im
Jahr 1500 nach England zu ihrem Bräutigam begeben, und sie sollte trotz
ihrer Eheschließung nicht den Anspruch auf den Thron Kastiliens
verlieren. Die finanzielle Seite der Transaktion wurde durch Ferdinands
Beharren kompliziert, Katharinas Mitgift von 200 000 Kronen in zwei
Raten zu bezahlen. Tatsächlich sollte noch Heinrich VIII., Katharinas
zweiter Ehemann, 18 Jahre später, damit beschäftigt sein, England
zustehende Zahlungen aus der ersten Ehe seiner Frau einzutreiben.
Am
27.9.1501 machte sich Katharina von Aragón schließlich auf den Weg nach
England. Am 2.10. legte ihr Schiff in Plymouth an. Die Hochzeit mit
ihrem Mann Arthur fand einen Monat später, am 14.11., in der St.
Pauls-Kathedrale statt. Ihr 10-jähriger Schwager, Heinrich VIII.,
geleitete sie zum Altar. Ihr Schwiegervater, der für seinen Geiz bekannt
war, griff diesmal tief in seine (Geld)-Taschen. Schließlich hatte sein
Sohn Arthur die Tochter aus einem der mittlerweile mächtigsten
Königreiche Europas geheiratet. 10 Tage lang war London Schauplatz von
Festlichkeiten für alle und jeden. Turniere und Kostümfeste fanden
statt, und es wurde getanzt und gesungen. Bogenschießen,
Volksbelustigungen und andere Vergnügungen füllten die Tage und Nächte.
Katharinas
erste Ehe mit dem unscheinbaren Arthur währte jedoch nicht einmal fünf
Monate. Am 2.4.1502 starb ihr Gatte an Tuberkulose (laut anderer Quellen
am Englischen Schweißfieber). Schon direkt nach dem Tode erklärte
Katharina, daß ihre Ehe mit Arthur nie vollzogen worden sei. Eine
Aussage, die später in ihrem Scheidungsprozeß eine wichtige Rolle
spielen sollte. Daß Katharina die Wahrheit sagte, zeigte schon das
Verhalten des spanischen Gesandten, De Puebla, der in London das
Gegenteil behauptete, nur um die rechtliche Stellung der Witwe Arthurs
durch deren Verlautbarung nicht zu gefährden, und der deshalb trotz
Katharinas Einsprüchen zusammen mit den Engländern betonte, daß eine
geschlechtliche Vereinigung zwischen Katharina und Arthur stattgefunden
hätte. Ihr Schwiegervater, der Verschwendung über alles verabscheute,
schlug beinahe sofort ihre Wiederverheiratung mit seinem nächsten Sohn,
Heinrich VIII., vor. Aber Katharinas Vater versuchte eine Zeitlang - wie
üblich - herumzufeilschen. Heinrich VII. setzte sich jedoch durch. Denn
er wollte weder den an ihn bereits zugegangenen Teil der Mitgift
zurückerstatten noch Katharina erlauben, England zu verlassen. Da es um
1503 alles andere als gut um Spanien bestellt war, zog es Ferdinand vor,
diesmal nachzugeben. So wurde am 23.6.1503 zwischen Heinrich VII. und
Ferdinand ein neuer Vertrag abgefaßt, der bestimmte, daß Heinrich VIII.
seine Schwägerin heiraten sollte, sobald er das 15. Lebensjahr erreicht
habe. Am 25.6.1503 wurde die 17-jährige Katharina schließlich mit dem
fast 12-jährigen Heinrich VIII., dem nunmehrigen "Prince of Wales",
verlobt. Alles, was zum zukünftigen Glück noch fehlte, war wegen des
engen Verwandtschaftsverhältnisses (Schwager/Schwägerin) zwischen Braut
und Bräutigam die Dispens (die kirchliche Befreiung von
Ehehindernissen).
Die Kirche versuchte nämlich schon zu Beginn
des Mittelalters, Verwandtschaftsehen zu verhindern. Im 6. Jh. waren die
Ehen zwischen Gatten verboten, die im dritten Grad miteinander verwandt
waren, im 8. und 9. Jh. ging das Verbot bis zum sechsten Grad. Um 800
ließ Papst Leo III. (+ 816) Ehen zwischen Verwandten siebten Grades
verbieten, weil der Herr am siebten Tag von seinen Werken ausruhte.
Schließlich wurde im Laterankonzil im Jahre 1215 festgelegt, daß Ehen
nicht geschlossen werden dürften, wenn eine Verwandtschaft bis zum
vierten Grade vorliegen würde. Das bedeutete, daß man, wenn man dieselbe
Urgroßmutter hatte, sich nicht miteinander verheiraten durfte, es sei
denn, der Papst gab die Dispens dazu. Und die wurde - wenn man dem
Adelsstand angehörte - schnell erteilt. Die Habsburger des 16. Jhs.
heirateten z.B. fast ausschließlich unter sich. Entweder wurden Cousin
und Cousine oder Onkel und Nichte miteinander vermählt.
Auch wenn
"Schwägerschaft aus unerlaubtem Beischlaf" vorlag, d.h. ein Mann z.B.
die Schwester einer Frau heiraten wollte, mit der er Geschlechtsverkehr
hatte, verbot die Kirche die Eheschließung. So war natürlich die Heirat
zwischen Schwager und Schwägerin erst recht nicht erlaubt. Seit 867
durften laut Papst Nikolaus I. (+ 867) zudem keine Ehen mehr zwischen
Täuflingen und ihren Paten und deren Kindern geschlossen werden, da
zwischen ihnen "geistliche Verwandtschaft" vorlag. Dieses Ehehindernis
wurde - nebenbei erwähnt - in der katholischen Kirche erst im Jahre 1983
aufgehoben!
Im Falle von Katharina und Heinrich VIII. wurde die
Dispens im Jahre 1503 ersucht. Da der Papst Alexander VI. bereits tot
war, und sein Nachfolger Pius III. nicht einmal zwei Monate auf dem
Papstthron saß, gelangte das Gesuch an Julius II., der sich seit Oktober
1503 Oberhaupt der katholischen Kirche nennen durfte. Julius II. war
jedoch alles andere als ein Freund schneller Entschlüsse. So erhielt
Heinrich VII. erst im Juli 1504 Bescheid, daß die Dispens erteilt werden
würde. Aber nur auf Drängen Katharinas Mutter wurde die kirchliche
Befreiung des Ehehindernisses, vordatiert auf den 26.12.1503, dann
tatsächlich am 22.11.1504 auch schriftlich in einer Urkunde fixiert.
In
der Zwischenzeit war am englischen Königshof viel geschehen. Katharinas
schöne und liebenswürdige Schwiegermutter, Elisabeth, starb am
11.2.1503 neun Tage nach der Geburt ihres letzten Kindes, das sie nach
Katharina genannt hatte, am gefürchteten Kindbettfieber. Ihre kleine
Katharina folgte ihr kurze Zeit später. Noch im Jahre 1503 wurde
Margarete, die 13-jährige Schwägerin Katharinas, mit Jakob IV. von
Schottland verheiratet. Schon im Juli 1499 war ein Friedens- und
Bündnisvertrag zwischen England und Schottland geschlossen worden, und
bereits im September 1499 hatten ernsthafte Verhandlungen über die
Eheschließung begonnen, die nun tatsächlich vollzogen wurde. Die Heirat
sollte jedoch weder Heinrich VII. noch Heinrich VIII. einen Gewinn
bringen, denn Schottland verhielt sich England gegenüber auch weiterhin
hartnäckig feindlich.
Am 26.11.1504 verlor Katharina ihr großes
Vorbild und ihre große Stütze, ihre Mutter, die an Gebärmutterkrebs
starb. Außerdem verliefen die folgenden Jahre am englischen Königshof
sehr demütigend für sie. Da auch im Juni 1505 immer noch nicht der
zugesagte Rest von ihrer Mitgift - immerhin 100 000 Kronen -
eingetroffen war, legte Heinrich VIII. einen Tag vor seinem Geburtstag,
an dem er 14 Jahre alt werden sollte - wohl auf Initiative seines Vaters
hin - Protest gegen den Ehevertrag ein, indem er erklärte, der Vertrag
sei geschlossen worden, als er noch minderjährig war. Er weigerte sich,
Katharina zu heiraten und erklärte das in der Vergangenheit gegebene
Versprechen für null und nichtig. Aber die finanzielle Seite war für
Heinrich VII. nicht der einzige Grund, den Ehevertrag zwischen Sohn und
Schwiegertochter zu lösen. Auch politische Gründe spielten dabei eine
erhebliche Rolle. Seit 1505 bildeten sich in Europa neue
Bündnisverhältnisse. Aufgrund der spanischen Thronstreitigkeiten, die
zwischen Katharinas Vater und seinem Schwiegersohn Philipp ausgebrochen
waren, wandte sich Philipp England und Ferdinand II. Frankreich zu.
Beide Blöcke standen sich mittlerweile feindlich gegenüber. Im Oktober
1505 erwog Heinrich VII. ernsthaft, seinen Sohn Heinrich mit Eleonore,
der ältesten Tochter Philipps und Johanna der Wahnsinnigen, zu
verheiraten.
Katharina wurde seit dieser Zeit am englischen Hof
mehr wie eine Gefangene als wie eine Schwiegertochter behandelt. Ihr
ursprünglich aus 50 Personen bestehender Haushalt in Durham House wurde
unter dem Druck ständiger Geldknappheit und als Folge nur schlecht
verborgenen Neids der englischen Höflinge zunehmend unruhiger und
zänkischer. Denn Heinrich VII. hatte ihr auch den Unterhalt, der ihr als
Witwe Arthurs eigentlich zustand, immer weiter gekürzt und schließlich
sogar ganz vorenthalten. Die Folge war, daß viele ihrer Höflinge wegen
schlechter Bezahlung zurück nach Spanien flohen. Katharina, der die
Heimreise nach Spanien verwehrt und die von ihrem Schwiegervater als
wertvolle Geisel verwendet wurde, suchte in dieser harten Zeit Zuflucht
in der Religion. Schon als junges Mädchen fügte sie sich durch ein allzu
asketisches Leben gesundheitliche Schäden zu, die vielleicht
letztendlich zu ihren späteren Fehl- und Totgeburten führten. Papst
Julius II. jedenfalls warnte sie in einem Brief vom 20.10.1505, daß ein
strenges, nur dem Gebet und dem Fasten gewidmetes Leben ihre Gesundheit
gefährde und vor allem die Möglichkeit mindere, Kinder zu gebären.
Heinrich
VII. schien tatsächlich seit 1505 immer weniger Interesse an seiner
Schwiegertochter zu haben. Denn er begann Katharinas Vater, dem er immer
mehr mißtraute, inbrünstig zu hassen. Neben Eleonore wurde mittlerweile
auch laut über eine Ehe Heinrichs VIII. mit Marguerite d'Angoulême, der
Schwester des zukünftigen französischen Königs Franz I. gesprochen.
Auch von einer Ehe Heinrichs VIII. mit einer Tochter des Herzogs von
Bayern war die Rede.
Als Heinrich VII. jedoch 1507 selbst auf
Brautschau ging und Katharinas verwitwete Schwester Johanna die
Wahnsinnige - schon wegen der zu erwartenden Reichtümer in Kastilien und
der Goldadern in Westindien - heiraten wollte, hörten Katharinas
entbehrungsreichen Jahre vorerst auf, denn nun wurde sie als
Vermittlerin dringend gebraucht. Aber trotz ihres Einsatzes lehnte
Johanna Heinrichs Antrag brüsk ab.
Heinrich VII. plante
daraufhin, die junge Königin Johanna von Neapel, Margarete von
Österreich oder Katharina, seine eigene Schwiegertochter, zu ehelichen.
Aber da er seit 1507 immer häufiger krank und Ende 1508 bettlägerig
wurde - er litt an Tuberkulose - und jederzeit mit seinem Tod zu rechnen
hatte, widmete er sich schließlich lieber frommen Werken und Gebeten
als jungen Frauen. Als er am 21.4.1509 gestorben war, hinterließ er
seinem Sohn und Nachfolger Heinrich VIII. einen sicheren Thron, eine
volle Staatskasse, einen funktionierenden Regierungsapparat und ein
relativ geordnetes Land. Auf dem Sterbebett wünschte er sich dafür nur
die baldige Eheschließung zwischen Heinrich VIII. und Katharina.
Dieser
letzte Wunsch Heinrichs VII. wurde sechs Wochen später erfüllt. Am
11.6.1509 vermählten sich der 17-jährige Heinrich VIII. und die
23-jährige Katharina in der Franziskanerkirche in Greenwich. Am
24.6.1509 ließen sich die beiden zu König und Königin von England und
Frankreich und Lord und Lady von Irland krönen.
Die ersten
Ehejahre von Katharina und Heinrich VIII. waren voller Freude und
Festivitäten. Der junge König schien in seine Frau richtig vernarrt
gewesen zu sein, und diese begleitete ihn zu jedem gesellschaftlichen
Ereignis. Die Kette von Festlichkeiten, Banketten, höfischen Getändel,
Jagden, sportlichen Wettkämpfen - z.B. Bogenschießen und Tennis - und
ritterlichen Turnieren wollte nicht enden. Bei letzteren trug Heinrich
VIII. Katharinas Initialen auf dem Ärmel und nannte sich "Sir Loyal
Heart".
Und Katharina war stolz, die Gattin dieses schönen,
athletisch-sportlichen Mannes zu sein. Denn Heinrich VIII. war 1,90-1,93
m groß, hatte breite Schultern, kräftige Glieder, eine helle Haut,
lange rotblonde Haare, eine dünne, hohe Stimme und war glatt rasiert.
Das einzige, was an seinem Gesicht mißfallen konnte, waren die kleinen
berechnenden, "grausamen Schweinsäuglein" (Ridley). Von seinem Vater
hatte er eine ausgezeichnete Erziehung erhalten. Er galt als
außergewöhnlich sprachgewandt und konnte sich fließend in Französisch,
Latein und Spanisch und ein wenig in Italienisch unterhalten. Außerdem
wurde er noch in Rhetorik, Astronomie, Geometrie, Musik und Theologie
unterrichtet. Besonders groß war Heinrichs Interesse für die beiden
letzteren Fächer, Theologie und Musik. Er spielte Flöte, Laute und das
Virginal (ein kleines englisches Spinett), galt als guter Sänger und
komponierte selbst Messen und Lieder. Von seinen Kompositionen sind 35
Lieder und Instrumentalstücke bis heute erhalten geblieben. Laut Elton
sollen seine Kompositionen jedoch vor den Augen bzw. den Ohren der
Fachleute wenig Gnade gefunden haben. Selbstverständlich wurde die Musik
während seiner Regierungszeit sehr gefördert. Aus ganz Europa wurden
gute Musiker an seinem Hof verpflichtet.
Sportlich gesehen konnte
er es mit jedem in seinem Königreich aufnehmen. Er galt als ein Meister
im Bogenschießen, Ringen, Reiten, Speerwerfen, Turnierkampf, Tennis,
Tanzen und als ein leidenschaftlicher Jäger. In allen diesen Disziplinen
der Beste zu sein, war geradezu ein Muß für ihn! Ein Ausritt war für
ihn erst dann befriedigend, wenn er acht oder zehn Pferde müde geritten
hatte. Bei Turnieren, bei denen er immer sehr gut abschnitt, bestritt er
zuweilen mehr als 30 Kämpfe.
Er war ein ungewöhnlich
treffsicherer Schütze und konnte es mit den besten Bogenschützen der
Leibwache seines Vater aufnehmen. Im Zweikampf mit Bihändern, also mit
sehr schweren Schwertern, die nur mit beiden Händen geführt werden
können, galt er geradezu als unbesiegbar. Und auch auf dem Tanzparkett
glänzte er, da er selbst die neuesten Tänze vollkommen beherrschte.
Charakterlich
jedoch hatten seine Zeitgenossen nicht so viel Positives über ihn zu
berichten. Franz I. (+ 1547), König von Frankreich, hielt Heinrich für
hartnäckig und arrogant, "daß es kaum zu ertragen sei." Noch weniger
schmeichelhaft liest sich folgende Aufzählung seiner Charakterzüge:
Heinrich galt als kompromißlos egoistisch, eitel (hielt seine Waden z.B.
für unübertrefflich), jähzornig, unstet, rachsüchtig, verschwenderisch,
habgierig, kaltblütig, maßlos, litt an Selbstüberschätzung und
Darstellungssucht, war skrupellos, völlig von sich überzeugt, ohne
Mitleid und grausam.
Am 31.1.1510 wurde Katharinas und Heinrichs
Glück jedoch durch eine siebenmonatige Totgeburt (Mädchen) betrübt.
Katharina war sehr unglücklich, bis sie am 1.1.1511 einem Sohn, der nach
seinem Vater genannt wurde, das Leben schenkte. Doch auch dieses Kind,
das am 5.1. getauft wurde, erwies sich nicht als lebensfähig. Bereits am
22.2.1511 starb der kleine Heinrich. Katharina, völlig verzweifelt,
suchte daraufhin wieder Halt in ihrer Religion. Heinrich VIII. schien
den Tod seines Sohnes leichter überwunden zu haben. Sein Verhältnis zu
Katharina war immer noch herzlich und zuvorkommend. Und Katharina besaß
weiterhin großen Einfluß auf ihren Mann. 1511 bewirkte sie, daß Heinrich
der Heiligen Liga, die gegen Frankreich gerichtet war, beitrat. Die
bisherigen Verbündeten der Heiligen Liga waren Papst Julius II., Spanien
und Venedig. Interessant ist die Tatsache, daß Katharina weiterhin
loyal zu ihrem Vater stand und ihn sogar unterstützte, obwohl er doch
während ihrer schweren Witwenzeit nicht einen Finger gerührt hatte, um
das Los seiner Tochter zu erleichtern.
1512 konnte Katharina
ihren Mann sogar zu einer Expedition nach Südfrankreich - nur zur
Unterstützung ihres Vaters - überreden. Eine englische Armee unter dem
Marquis von Dorset landete bei Bayonne und lenkte die Aufmerksamkeit der
Franzosen auf sich, so daß Ferdinand II. von Aragón in der Zwischenzeit
in aller Ruhe über Navarra herfallen konnte. Dorsets Männer jedoch
waren schlecht versorgt, und so erwies sich die ganze Expedition als
Desaster. Viele Männer starben an der Ruhr, und der Rest der Armee
verweigerte dem schwachen Befehlshaber schließlich den Gehorsam und
kehrte nach Hause zurück.
Heinrich VIII. und Katharina feierten derweil fleißig weiter. So schrieb Katharina 1512 an ihren Vater: "Das
Leben am königlichen Hofe ist ein immerwährendes Fest. Maskeraden und
Komödien, Lanzenstechen und Turniere, Konzerte Tag und Nacht..." (in: Baumann, Uwe: Heinrich VIII., Reinbek bei Hamburg 1991, S. 25).
1513
unterstützte Heinrich VIII. immer noch die Sache seines
Schwiegervaters. Seit dem 5.4.1513 war auch Kaiser Maximilian I. der
Heiligen Liga beigetreten. Dieses Bündnissystem wurde für Frankreich
immer bedrohlicher. Denn Heinrich VIII. entschloß sich sogar, persönlich
am Krieg teilzunehmen. Mit einer großen Armee von 30 000 bis 40 000
Mann setzte er nach Calais über und leitete dort die Belagerung der
kleinen Stadt Thérouanne ein, die Ende August in englische Hände fiel.
Im September ergab sich auch Tournai. Unter Hinterlassung von
Besatzungen in diesen beiden Städten kehrte Heinrich im Triumph nach
England zurück. Während seines Aufenthaltes in Frankreich blieb
Katharina in England und regierte das Reich mit Hilfe eines Rates. Der
König von Schottland, Jakob IV., der Mann ihrer Schwägerin Margarete,
verbündet mit den Franzosen, wollte diese Situation ausnutzen und ließ
seine Truppen in Nordengland einmarschieren. Aber er hatte sich in
Katharina getäuscht, die streng, autoritär, furchtlos und entschlossen
wie ihre Mutter sein konnte. In aller Eile ließ sie englische Truppen
ausheben und befahl dem ersten Feldherrn ihres Mannes, dem zweiten
Herzog von Norfolk, den Schotten unverzüglich entgegenzuziehen. Am 9.9.
kam es schließlich bei Flodden zur Entscheidungsschlacht, bei der ihre
Untertanen eindeutig als Sieger hervorgingen. Jakob IV. verlor in diesem
Kampf sogar sein Leben.
Erst im Jahre 1514 zeigten sich in
Katharinas Ehe "die ersten grauen Wolken am Horizont". Ihr Vater hatte
sowohl 1512 als auch 1513 und 1514 mit Hilfe seiner Tochter Katharina
Heinrich VIII. überreden können, zu seinen Gunsten in den Krieg gegen
Frankreich zu ziehen. Jedoch jedesmal verriet Ferdinand von Aragón
seinen Schwiegersohn, indem er, wenn er erreicht hatte, was er wollte,
mit der gegnerischen Partei - ohne seinen Schwiegersohn zu informieren -
Sonderfrieden mit sehr günstigen Konzessionen - natürlich nur für sich
selbst - schloß. Heinrich VIII. mußte dann den Krieg, den er gar nicht
wollte und nur aus Gefälligkeit für seinen Schwiegervater begonnen
hatte, allein ausfechten. Beim drittenmal - also im Jahre 1514 - war
Heinrich über den Verrat seines Schwiegervaters so erbost, daß er nicht
nur seinen ganzen Ärger und seine Wut an Katharina ausließ und sogar zum
erstenmal Gerüchte über ihre Scheidung kursierten, sondern daß er im
Namen Katharinas sogar Anspruch auf die Krone Kastiliens erhob und
zusammen mit Ludwig XII., seinem neuen Schwager, einen Krieg gegen
Ferdinand von Aragón zu unternehmen plante, um Navarra und Kastilien zu
erobern. Navarra sollte wieder an Frankreich fallen, und Heinrich VIII.
wollte König von Kastilien und León werden. Heinrichs Rechtfertigung für
diesen Krieg lautete: Ferdinand sei lediglich König von Aragón, und
nach Isabellas Tod im Jahre 1504 sei die Krone von Kastilien und León
nicht an ihren Mann, sondern an ihre beiden Töchter Johanna und
Katharina übergegangen. (Die Tochter Maria, die mit dem portugiesischen
König Manuel verheiratet worden war, hatte bei der Eheschließung auf die
Thronfolge verzichten müssen). Da Johanna verrückt sei, stehe es
Heinrich VIII. als Ehemann Katharinas zu, Kastilien und León für seine
Frau in Besitz zu nehmen. Aber aus diesem Plan wurde nichts; Ludwig XII.
dachte nicht daran, sich auf ein derart sinnloses Unternehmen
einzulassen.
Im Dezember 1514 brachte Katharina, nachdem sie
schon 1513 einen Sohn geboren hatte, der nur wenige Tage am Leben
geblieben war, erneut einen nicht lebensfähigen Sohn zur Welt. Erst am
18.2.1516 konnte sie ihrem Mann um 4 Uhr morgens in Greenwich nach einer
langen und schwierigen Geburt ein gesundes, kräftiges Kind schenken.
Zur Enttäuschung der Eltern war es jedoch nur eine Tochter, die nach
Heinrichs Lieblingsschwester Maria genannt wurde. Heinrich VIII. gewann
aber schon bald wieder seinen alten Optimismus zurück und ließ
folgendes verkünden: "Wir sind beide noch jung; wenn es diesmal ein Mädchen ist, so werden durch die Gnade Gottes Knaben folgen."
(in: Ridley, Jasper: Heinrich VIII., Zürich 1990, S. 97). Er selbst
behandelte seine kleine Tochter wie ein neues Spielzeug und zeigte sie
voller Stolz seinen Höflingen und Diplomaten. Zwischen Katharina und
ihrer Tochter sollte zeitlebens eine tiefe Zuneigung herrschen.
Katharina,
die immer noch hoffte, ihrem Mann einen Sohn schenken zu können,
widmete sich nach der Geburt ihrer Tochter wieder verstärkt der
Religion. Beten, Wallfahrten unternehmen und Almosen verteilen - so
sahen ihre Tagesaktivitäten aus. Bei den Armen war sie wegen ihrer
Mildtätigkeit sehr beliebt. Nachdem sie im Herbst 1517 wieder eine
Fehlgeburt erlitten hatte und am 18.11.1518 nur von einem toten Kind,
einem Jungen, entbunden werden konnte, mußte sie jedoch ihre Hoffnung,
jemals einen Sohn zu gebären, für immer aufgeben.
Die Beziehung
zwischen Katharina und Heinrich hatte sich um 1519 sehr verschlechtert.
Sie wußte, daß ihr Gatte seit 1514 eine Liebesaffäre mit einer ihrer
Hofdamen, Elisabeth Blount, begonnen hatte. Elisabeth Blount war die
Tochter von Sir John Blount aus Shropshire und wurde von Heinrich kurz
"Bessie" genannt. Ihr Vater verdankte der Beziehung seiner Tochter zum
englischen König den Aufstieg zum königlichen Oberstallmeister. Im Jahre
1519 brachte "Bessie" ihrem Geliebten einen gesunden Sohn zur Welt, zu
dem sich Heinrich bereits durch die Namengebung bekannte: Henry Fitzroy,
"Sohn des Königs". Wie tief mußte Katharina es kränken, daß nicht sie
dem König diesen Sohn hatte schenken können. 1520 wurde eine gewisse
Mary Boleyn, die mit Sir William Carey verheiratet war, Heinrichs neue
Mätresse. Katharina und Maria, seine kleine Tochter, spielten in dem
Leben des englischen Königs kaum noch eine Rolle.
Im Jahre 1525
war der bisher immerhin noch spürbare Einfluß Katharinas auf Heinrich
fast auf den Nullpunkt zurückgegangen. Besonders kränkend mußte es für
sie gewesen sein, als ihr Gatte seinen unehelichen Sohn Henry Fitzroy an
den Hof kommen ließ, zum Ritter schlug und mit Titeln und nominellen
Ämtern (Herzog von Richmond und Somerset, Graf von Nottingham,
Großadmiral, Lord Warden of the Marches, Statthalter von Irland)
überhäufte. Dessen Haupttitel, Herzog von Richmond und Somerset, ließ
klar erkennen, daß Heinrich ernstlich daran dachte, ihn zu seinem
Thronerben zu erklären. Katharina hatte zwar gegen diese Ehrungen heftig
protestiert, aber nichts bewirken können. Ihre Tochter Maria erhielt zu
dieser Zeit als Prinzessin von Wales einen eigenen Haushalt und einen
eigenen Rat in Ludlow.
1526 war bei Heinrich VIII. auch die Liebe
zu Mary Carey-Boleyn erloschen. Nun interessierte ihn mehr die
Schwester seiner ehemaligen Mätresse, Anne Boleyn. Katharina, die durch
ihre zahlreichen Schwangerschaften, ihre Enttäuschungen und ihre
extremen Fastenmethoden frühzeitig gealtert und häßlich geworden war,
neigte mittlerweile immer mehr zu spanischer Bigotterie. Heinrich
vermied es immer häufiger, sich mit ihr zu treffen. Wie er einem seiner
Gesandten, Simon Grynaeus, 1531 offenbarte, hatte er mit Katharina seit
1524 sowieso keinen geschlechtlichen Verkehr mehr.
Seine
Schwester Margarete war ebenfalls alles andere als glücklich
verheiratet. 1526 hatte sie beim päpstlichen Gericht in Rom die
Scheidungsklage gegen ihren zweiten Mann Archibald Douglas eingereicht,
den sie mittlerweile abgrundtief haßte. Ihr Wunsch war, nach der
Scheidung ihren derzeitigen Geliebten Harry Stewart, einen
gutaussehenden jungen Höfling, zu heiraten. Vielleicht gab sie ihrem
Bruder den Anstoß, das gleiche auch mit seiner Ehe zu versuchen. Im Mai
1527 leitete Heinrich VIII. jedenfalls die Scheidung gegen Katharina
ein. Das Scheidungsverfahren sollte jedoch sieben Jahre in Anspruch
nehmen!
Aber die Scheidungserlaubnis zu erlangen, war nicht so
einfach. Auch ist es eigentlich falsch, von Scheidung zu sprechen. Eine
einmal vollzogene Ehe war kirchlicherseits gänzlich unauflösbar. Eine
Ehe konnte nur annulliert, also für null und nichtig erklärt werden, und
auch das nur, wenn gute Gründe z.B. zu nahe Verwandtschaft der
Ehegatten vorlagen. Die Unfruchtbarkeit der Ehefrau z.B. wurde von der
Kirche nicht als Annullierungsgrund anerkannt. Außerdem war eine zweite
Eheschließung noch zu Lebzeiten des ersten Ehegatten nur mit einer
weiteren päpstlichen Dispens möglich. Könige und hohe Adlige hatten
bisher kaum mit Schwierigkeiten zu rechnen. Ihnen wurde - im Gegensatz
zu den Normal-Sterblichen - Annullierung und Wiederheirat relativ
schnell und problemlos zugebilligt. Aber einen plausiblen
Annullierungsgrund sollten auch die hohen Herren und Damen vorlegen
können.
Heinrich erklärte deshalb öffentlich, daß seine Ehe dem
göttlichen Recht widerspreche, da seine Frau vor ihm mit seinem Bruder
verheiratet gewesen wäre, und er wegen der Illegalität seiner Ehe von
heftigsten Gewissensqualen heimgesucht werde. Zeige Gott nicht seinen
Zorn über diese Eheschließung, indem er dem König einen Sohn verwehre?
Sind die vielen Fehl- und Totgeburten Katharinas nicht ebenfalls als
Strafe Gottes aufzufassen?
Als Beweis für seine Behauptung führte er das Dritte Buch Moses (Leviticus XVIII, 16 und Leviticus XX, 21) an: "Die
Scham vom Weibe deines Bruders darfst du nicht aufdecken, es ist deines
Bruders Scham." "Wenn ein Mann die Frau seines Bruders nimmt, das ist
etwas Abscheuliches; er hat die Blöße seines Bruders aufgedeckt, sie
werden kinderlos bleiben." Wer die Bibel kennt, weiß aber auch, daß
es fast für jeden Bibelspruch einen Spruch gibt, der das genaue
Gegenteil behauptet. Und so spricht das Fünfte Buch Moses
(Deuteronomium, XXV, 5) sogar von der Pflicht, die verwitwete
Schwägerin, die keine Söhne hat, zu heiraten. Andererseits wurde bereits
seit dem 7. Jh. "die Witwe des Bruders zu heiraten" von Kilian, dem
"Apostel der Mainlande" als kanonisch unerlaubte Verwandtenehe
angegriffen.
Katharina bekam am 22.6.1527 jedenfalls von ihrem
Gatten mitgeteilt, daß "sie nicht Mann und Frau seien und es auch
niemals gewesen seien". Kardinal Thomas Wolsey, zugleich Erzbischof von
York und Lordkanzler des Königs, tat derweil alles, um Heinrichs Sache
zu dienen und suchte schon seit dem Frühjahr 1527 eifrig nach Beweisen,
daß die Ehe von Arthur und Katharina vollzogen worden war. Denn davon
hing jetzt alles ab. Nur wenn Arthur und Katharina Geschlechtsverkehr
miteinander hatten, konnte Heinrich von Katharina aufgrund der
Bibelsprüche aus dem Dritten Buch Moses "geschieden" werden.
Im
Mai 1527 hatten sich Heinrich VIII. und Wolsey zudem folgenden Plan
zurechtgelegt: Der König sollte die Ehe mit Katharina annullieren
lassen, ohne ihr überhaupt die Möglichkeit zur Verteidigung einzuräumen.
Kraft seiner Autorität als päpstlicher Legat konnte Wolsey Heinrich vor
seinen Legaten-Gerichtshof laden, das nur aus ihm und dem Erzbischof
von Canterbury, William Warham (+ 1532), bestand. Sie sollten den König
beschuldigen, gesetzwidrig mit der Witwe seines Bruders verkehrt zu
haben, da er nicht rechtmäßig mit ihr verheiratet gewesen sei. Nach
einem Schuldbekenntnis des Königs sollte das Gericht die Trennung von
Katharina verfügen und die Ehe für ungültig erklären.
Der Plan
mißlang jedoch, weil Katharina erstens davon Wind bekam und sich
empörte, und weil zweitens die kaiserlichen Truppen Ende Mai 1527 Rom
plünderten und den Papst gefangennehmen und unter Druck setzen konnten.
Nun wurden die Bischöfe in Heinrichs Königreich in aller Heimlichkeit um
ihre Stellungnahme gebeten. Und die meisten antworteten so, wie es
Heinrich VIII. und Wolsey wünschten. Nur John Fisher, der Bischof von
Rochester, war gegen eine Annullierung. Im Juli erteilte der Papst
seinem Legaten Thomas Wolsey die Dekretal-Vollmacht, die es diesem
erlaubte, zusammen mit dem Kardinal Campeggio, dem Bischof von Salisbury
und Protektor Englands an der päpstlichen Kurie, in Heinrichs
Annullierungsprozeß als Richter zu agieren. Dieser Kardinal Campeggio,
der normalerweise in Rom lebte, erhielt jedoch bereits im September
1528, als er sich auf dem Weg zu Heinrich befand, in Paris ein neues
Schreiben des Papstes, alles in seiner Macht stehende zu tun, um
Heinrich und Katharina wieder zu versöhnen. Auf keinen Fall dürfe er
ohne neue und ausdrückliche Anweisung aus Rom ein Urteil im
Annullierungsprozeß fällen. Die zwischenzeitlich für die Franzosen
günstige Situation in Italien hatte sich nämlich mittlerweile wieder
zugunsten der Spanier geändert.
Als Campeggio im Oktober 1528 in
England eintraf, versuchte er mit Wolsey und Heinrich VIII. zusammen,
Katharina zum Eintritt ins Kloster zu bewegen. Schon in der ersten
Audienz hatte Campeggio, der päpstliche Legat, ihr mitgeteilt, daß der
Papst ihren Eintritt ins Kloster für die beste Lösung der schwebenden
Fragen halte. Zwei Tage später machte er ihr denselben Vorschlag bei der
Beichte. Und obwohl Katharina diesen Plan jedesmal entschieden
ablehnte, baten Campeggio und Wolsey sie am nächsten Tage nochmals, ohne
einen kanonischen Prozeß anzustrengen, doch die Gelübde auf sich zu
nehmen. Katharina blieb jedoch bei ihrer Weigerung. Im Januar 1529
machte Campeggio einen erneuten Versuch, indem er Katharina erklärte,
daß der Papst den Eintritt der Königin in ein Kloster mit Freuden
begrüßen würde. Am 16.1.1529 beschwerte sich der kaiserliche Gesandte am
englischen Hofe, Don Iñigo de Mendoza, schließlich über die Versuche
des Papstes und des Königs, die Königin zum freiwilligen Eintritt ins
Kloster zu bewegen. Doch wie sich noch zeigen sollte, blieben deren
sämtlichen Versuche, Katharina zum Gelübde zu bewegen, sowieso
fruchtlos.
Am 31.5.1529 kam es in Blackfriars schließlich zur
Verhandlung, die bis zum 23.7.1529 währen sollte. Katharina, die durch
die leidenschaftliche Verteidigung ihrer Person und durch ihre aufrechte
Haltung tiefen Eindruck gemacht hatte, lehnte jedoch schon am ersten
Gerichtstag die Richter ab und verlangte, daß man über ihren Fall in Rom
urteile. Der Prozeß ging somit ohne sie weiter. Dutzende von Zeugen
wurden vernommen, die aussagen sollten, ob Katharina mit Arthur vor 28
Jahren Geschlechtsverkehr gehabt hatte oder nicht. Laut Baumann
berichteten greise Lords, ehemalige Hofdamen, Edelleute und Diener, was
sie z.B. in der Hochzeitsnacht gesehen und gehört hätten, wie blaß und
erschöpft der Prinz von Wales am nächsten Morgen gewesen wäre und daß
er seinen königlichen Kammerherren erklärt hätte, er wäre in dieser
Nacht "in Spanien" gewesen.
Trotz ihrer großen Popularität im
Volk hatte Katharina nur wenige verläßliche Freunde, die sich offen zu
ihr bekannten und für sie ein Wort einlegten oder sie sogar
verteidigten. Aber sie hatte schon zu Beginn des Jahres 1527, als ihr
klar wurde, was ihr Gatte vorhatte, einen der wenigen ihr noch
verbliebenen spanischen Bediensteten, Francisco Felípez, nach Valladolid
geschickt, um dringend die Hilfe ihres Neffen Karls V. zu erbitten.
Am
22.7.1529 traf gegen 20 Uhr bei Heinrich VIII. ein Schreiben von Papst
Klemens VII. ein. Es war am 6.7. verfaßt worden und erklärte dem
englischen König, daß sein Annullierungsprozeß nach Rom überwiesen
werde. Denn mittlerweile hatte sich Klemens VII., der 1527 mehrere
Monate lang von Kaiser Karl V. in der Engelsburg gefangengehalten worden
war, mit dem Kaiser im Frieden von Barcelona am 29.6.1529 ausgesöhnt
und wollte nun "seinem neuen Freund" wohl mit der Verlegung des
Annullierungsprozesses nach Rom schmeicheln. Für Heinrich VIII. war die
Hoffnung, die Ehe mit Katharina durch päpstlichen Spruch getrennt zu
sehen, jetzt dahin. Auf den Vorschlag Thomas Cranmers, eines
Theologieprofessors in Cambridge, eingehend, konzentrierten die
Engländer nun ihre Angriffe auf das Breve Julius'II. aus dem Jahre 1504,
in dem der damalige Papst die Dispens zur Eheschließung zwischen
Heinrich und Katharina erteilt hatte. Denn nachdem, was in der Bibel
über die Schwagerehe zu lesen sei, hätte dieser Papst niemals die
Dispens erteilen dürfen. Wem habe man nun also mehr zu gehorchen, den
Worten der Bibel, die Gottes Worte sind, oder denen des Papstes? England
war also durch diesen Scheidungsprozeß bei derselben Kernfrage
angelangt, die sich schon 12 Jahre zuvor Martin Luther und seine
Anhänger gestellt hatten!
Um nun seinerseits die Kurie von der
Unmöglichkeit einer Dispensvergabe bei Schwagerehen zu überzeugen,
bemühte sich Heinrich VIII. in den nächsten Monaten mit großem Fleiß
und nicht unbeträchtlichem Geldaufwand, zahlreiche Gutachten von
Universitäten und einzelnen Gelehrten zusammenzutragen. So wurden die
Universitäten Cambridge und Oxford um Hilfe gebeten. Und die Gelehrten
und Untergebenen Heinrichs verfaßten in seinem Sinne unzählige
einschlägige Abhandlungen oder durchforsteten als Abgesandte die
europäischen Bibliotheken und Buchhandlungen und holten als Agenten
überall in Europa bei angesehenen Rechtsgelehrten und berühmten
Universitäten wie Padua, Ferrara, Pavia und Bologna Gutachten ein - oft
natürlich gegen hohe Bezahlung. Diese Gutachten sollten in Rom als
Druckmittel verwendet werden zusammen mit der Drohung, ein Allgemeines
Konzil der Kirche einzuberufen, das handeln würde, falls der Papst
weiterhin untätig bliebe.
Der nach Rom überwiesene
Annullierungsprozeß wurde derweil durch Verfahrensfragen und taktische
Finessen, die Heinrichs Gesandten nicht müde wurden, ständig anzuwenden,
verzögert. Heinrich wollte die Annullierung seiner Ehe und war nicht
bereit, eine Schlappe diesbezüglich hinzunehmen. Katharina ihrerseits
war genau so wenig bereit, nachzugeben. Den Vorschlag des Papstes, sie
sollte doch in ein Kloster gehen - was ja doch schon viele Königinnen
vor ihr in ähnlicher Situation getan hätten -, lehnte sie energisch ab.
Nein, sie ließ sich nicht in ein Kloster abschieben! Sie nicht! Nicht
umsonst war sie die Tochter Isabellas von Kastilien und León. Sie wußte
wie ihre Mutter zu kämpfen! So leicht wollte sie es ihrem Gatten nicht
machen.
Und während Heinrichs Schwester, Margarete, im Dezember
1527 die Annullierungserlaubnis ihrer Ehe vom Papst erhalten hatte, weil
ihr zweiter Gatte angeblich durch ein früheres Verlöbnis gebunden war,
sah es bei Heinrich, der doch stichhaltigere Gründe als seine Schwester
aufweisen konnte, nicht besonders rosig aus. Denn Klemens VII. konnte
und wollte sich auf keinen Fall erneut mit Kaiser Karl V. anlegen.
Bis
1531 kam Katharina trotz der Differenzen, die zwischen Heinrich und ihr
bestanden, weiterhin ihren normalen Verpflichtungen am Hofe nach. Aber
im Sommer dieses Jahres befahl Heinrich ihr, sich von Windsor zu
entfernen und sich auf den Landsitz "The More", einer ehemaligen
Residenz des Kardinals Wolsey, zurückzuziehen. Heinrich VIII. sah sie
von nun an bis zu ihrem Tode nie wieder. Außerdem verbot er Katharina
und Maria, sich weiterhin ab und zu zu besuchen. Nur noch Briefe und
Boten durften zwischen Mutter und Tochter ausgetauscht werden.
Die
Krise spitzte sich weiter zu und erreichte ihren Höhepunkt im Jahre
1533, als Anne Boleyn, Heinrichs zukünftige zweite Frau, im Januar
feststellte, daß sie schwanger war. Heinrich wollte, daß dieses Kind
ehelich zur Welt kam und damit zur Thronfolge berechtigt war. Deshalb
erklärte Thomas Cranmer, seit 1533 mittlerweile Erzbischof von
Canterbury und Haupt des obersten kirchlichen Gerichtshofes in England,
am 23.5.1533 im Namen des Gerichtshofes, die Ehe Heinrichs VIII. mit
Katharina von Beginn an für ungültig, weil diese Beziehung
blutschänderisch war, denn Katharina war zuvor mit Heinrichs älterem
Bruder Arthur verheiratet. Katharina wurde zur "verwitweten Prinzessin
von Wales" herabgestuft und mußte sich nun entsprechend ihrem Rang mit
einem erheblich verkleinerten Gefolge auf einem entlegeneren Ruhesitz
begeben. So lebte sie in den ihr noch verbliebenen, knapp zweieinhalb
Jahren zuerst im Ampthill Schloß, im Buckden Schloß und schließlich im
Kimbolton Schloß in Northamptonshire. Maria, ihr gemeinsames Kind, wurde
zur "Lady Mary, des Königs Tochter" degradiert, für unehelich erklärt
und von der Thronfolge ausgeschlossen.
Am 23.3.1534 fällte auch
das päpstliche Konsistorium in Rom sein Urteil. Es lautete: Die Ehe
zwischen Heinrich VIII. und Katharina war und ist gültig.
Aber
was konnte dieses Urteil noch an Katharinas und Marias Situation ändern.
Urteil stand gegen Urteil! Worte - auch vom Papst - bewirkten in
England mittlerweile nichts mehr und brachten Katharina nur eine gewisse
Genugtuung. Karl V., ihr Neffe, der einzige, der ihr wirklich helfen
konnte, war nicht bereit, für seine Tante und seine Cousine das Risiko
eines Krieges auf sich zu nehmen. Er plante lieber einen Feldzug in
Nordafrika, um Tunis von den Türken zu befreien.
Katharina war
jedoch auch jetzt noch nicht bereit, auf- oder nachzugeben. Sie hielt
sich weiterhin für die einzig wahre Gattin Heinrichs VIII. und die
einzig und wahre Königin von England und lehnte es ab, Heinrichs
Anordnungen, wenn sie gegen ihre Überzeugung sprachen, zu gehorchen. Sie
zeigte ihm die Zähne und widersetzte sich ihm. Keine von Heinrichs
Frauen war ihm charakterlich so ebenbürtig! Vielleicht verhinderte nur
die Macht Karls V., daß Heinrich nicht auch sie wie z.B. später Anne
Boleyn wegen Hochverrats anklagen ließ.
Die Demütigungen
Heinrichs gegenüber Katharina gingen jedoch weiter. So umgab er sie
schließlich nur noch mit Hofdamen, Edelleuten und Dienern, die sich
eidlich verpflichtet hatten, Katharina als Prinzessin-Witwe anzureden.
Da Katharina sich weigerte, mit jemandem zu sprechen, der sie nicht wie
eine Königin behandelte, zog sie sich in ihr Zimmer zurück und mied
jeden Kontakt.
Um Katharina, die Heinrich an Hartnäckigkeit,
Stolz und Ehrgefühl wirklich in nichts nachstand, noch mehr zu
verletzten, durften seit 1534 auch keine Boten und Briefe mehr zwischen
Katharina und Maria, die sich schon seit drei Jahren nicht mehr gesehen
hatten, ausgetauscht werden.
Maria, die ihren Vater und ihre
Mutter liebte, litt sehr unter der Mißachtung ihres Vaters. Im Frühjahr
1535 hatte sie sogar an eine Flucht aus England in die Niederlande
gedacht, aber ihr Cousin Karl V., der als einziger ihr dabei helfen
konnte, war dagegen. Schließlich wurde sie schwer krank. Katharina bat
ihren Gatten vergeblich, ihre Tochter pflegen zu dürfen.
Im
November 1535 drohte Heinrich im Gegenteil damit, an Maria ein Exempel
zu statuieren. Er wollte sie wegen Hochverrats anklagen und hinrichten
lassen, da sie sich wie ihre Mutter weigerte, die Sukzessionsakte zu
unterzeichnen, mit der sie die Ehe ihres Vaters mit Anne Boleyn für
rechtsgültig und die Ehe ihrer Eltern für null und nichtig erklärt
hätte. Mit dieser ganzen Aktion wollte er wohl weniger Maria als
Katharina selbst treffen. Diese jedoch blieb stolz und ungerührt und bat
keineswegs bei Heinrich flehend um das Leben ihrer Tochter. Nein,
Thomas Cranmer, der ihre Ehe für ungültig erklärt hatte, setzte sich bei
Heinrich für Maria ein und konnte den König von seinem Vorhaben
abbringen.
Nicht Heinrich VIII., sondern der Tod besiegte
Katharina. Am 7.1.1536 starb sie wie ihre Mutter an einem Krebsleiden.
Der kaiserliche Gesandte in England, Eustache Chapuys, ließ sofort nach
ihrem Tode verbreiten, daß sie vergiftet worden sei, und daß das Gift in
dem walisischen Bier gewesen sei, das man ihr zu trinken gegeben hätte.
Katharina selbst hatte noch an ihrem Todestag ihrem Arzt einen letzten
Brief an ihren Gatten diktiert:
"Mein teuerster Herr, König
und Gemahl, da die Stunde meines Todes naht, kann ich, aus der Liebe,
die ich für Euch empfinde, nicht anders, als Euch zu bitten, an das Heil
Eurer Seele zu denken, welchem Ihr vor allen weltlichen Überlegungen
und den Dingen des Fleisches den Vorzug geben solltet, um derentwillen
Ihr mich in manches Ungemach und Ihr Euch selbst in viele
Verdrießlichkeiten gestürzt habt. Doch ich vergebe Euch alles und bitte
Gott, das gleiche zu tun. Im übrigen empfehle ich Euch Maria, unsere
Tochter, und bitte Euch, ihr ein guter Vater sein zu wollen, wie ich es
immer gewünscht habe... Endlich spreche ich diesen Wunsch aus, daß meine
Augen Euch über alles zu sehen wünschen. Lebt wohl." (in: Baumann, Uwe, ebenda, S. 89).
Lesetips:
Fraser, Antonia: Die sechs Frauen Heinrichs VIII., Hildesheim 1995
Letters
of the Queens of England 1100-1547, edited by Anne Crawford. London
1994 (Originalbriefe von Katharina von Aragón können hier gelesen
werden)
Mattingly, Garrett: Catherine of Aragon. London 1950